Hui, viel Resonanz. Ich möchte hier gar nicht PSM rein waschen, sondern ihren Einfluss nur ins rechte Licht rücken - denn hier herrscht doch ein starkes Ungleichgewicht vor. Übertrieben ausgedrückt: Es ist eben bequemer, den Völkerverlust auf PSM zu schieben statt das eigene Handeln zu hinterfragen. Damit meine ich explizit nicht die hier wirklich angenehm sachlich geführte Diskussion.
Dann klär' uns doch mal auf, wie solche Studien prinzipiell angelegt sind - Zielsetzung vs. Ergebnisse. Vielleicht versteht man dann besser, warum einige Neonics nicht mehr genutzt werden dürfen. Insbesondere die Beobachtungsdauer der Studien dürfte interessant sein und die Stärke der eingesetzten Völker nach längerer Zeit.
Hallo Rainer, find ich gut, dass du den Punkt anfragst. Es gibt verschiedene Studientypen, die Endpunkte variieren leicht, sind im Wesentlichen aber die Gleichen. Ich reiße das nur kurz ab, da ich sonst den halben Sonntag tippend verbringe und verlinke die entsprechenden Guidelines, falls sich jemand weiter informieren möchte.
Die Tests starten in aller Regel im Labor unter worst case Bedingungen. Ein kleiner Käfig, 10 Bienen rein. Jeweils mehrere Replikte pro Testgruppe. Diese werden ad libitum (=all you can eat) mit einer Zuckerlösung gefüttert, die die zu testende Konzentrationen des Mittels enthält. Gleichzeitig läuft eine negative und positive Referenz mit, sprich reines Zuckerwasser und Zuckerwasser mit einem bekannt toxischen Mittel (um die Funktionalität des Systems nachzuweisen; aus Tierschutzgrunden wird letzteres aber diskutiert wegzulassen da die Funktionalität des Systems hinreichend nachgwiesen ist). Hier kann anschließend ein LD50-Wert nach X Stunden (lethal dose, Konzentration bei der 50% der Tiere sterben) berechnet werden. Einen ganz ähnlichen Labortest gibt es auch für die Kontakttoxiztät (OECD 213, OECD 214). Für viele Chemikalien endet die Testung hier schon soweit es die Biene betrifft, da sie entweder keinerlei Effekt haben oder im Gegenteil selbst bei geringsten feldrelevanten Konzentrationen alles aus den Latschen hauen.
Kommt es zu Effekten, die nicht in einer der beiden Kategorien fallen testet man in der nächsten Stufe im Halbfreiland oder im Freiland. In Halbfreiland-Versuchen (OECD 75, EPPO 170) werden Zelte Tunnel aufgestellt und mit einer licht- und wasserdurchlässigen Gaze bespannt. In diesen rund 100-200m² große Tunnel ist eine für Bienen hochattraktive Pflanze ausgesät, meist Phacelia oder Raps. Ein kleineres Volk von ca. 6000 Bienen wird in den Tunnel gestellt, welches über wenig Futterreserven verfügt und somit auf das Sammeln im Tunnel angewiesen ist. Nach einigen Tagen Einflugzeit wird das zu testende Mittel appliziert. Auch hier gibt es wieder eine negtive und eine positive Kontrolle und mehrere Replikate je Gruppe. Dieses System hat einige Vor- und Nachteile: Es ist ein künstliches, unrealistisches System, die Bienen sind in der Fläche und im Nahrungsangebot stark limitiert, die klimatischen Bedingungen können zusätzlich stressen. Daher sind die Ergebnisse oft schwankend, vor allem was die Brutabbruchraten betrifft, Ergebnisse können im Extremfall verzerrt werden (in beide Richtungen).
Mittlerweile werden verstärkt Freilandversuche (ebenfalls nach OECD 75 & EPPO 170) durchgeführt, nicht nur wenn es unklare Ergebnisse im Halbfreiland gibt. Diese haben den Vorteil, dass sie hoch realistisch sind und genau das abbilden, was später tatsächlich passiert: die Bienen stehen am Rand von attraktiven Feldfrüchten (Raps, Phacelia), der Landwirt bringt das zu testende Mittel aus. Hier gibt es keine positive Referenz (mehr), denn hektarweise Dimethoat spritzen wäre der ökologische GAU. Im aktuellen EFSA Dokument risk assessment on honey bees ist hier detailliert dargelegt, was wann in welchem Fall getan werden muss. dabei legt die EFSA teils leider unrealistische Forderungen an, die praktisch einfach nicht umsetzbar sind. Ein Beispiel: Es sollen Felder verwendet werden, wo im Umkreis von 4 km keine anderen attraktiven Blühpflanzen in nennenswerter Zahl blühen, so dass die Bienen gezwungen sind auf dem Testfeld zu sammeln. Klingt gut, wäre auch gut, bedeutet aber ich brauche 50 km² in denen nur mein Feld blüht.
In Halbfreiland und Freiland-Studien werden im Wesentlichen folgende Parameter untersucht, welche jeweils mit der negativen und positiven (soweit vorhanden) Kontrolle verglichen werden.
Mortalität: In vorgeschalteten Boxen wird der Totenfall überwacht. Bienen schaffen es, ihre im Stock gestorbenen Kolleginnen aus dem Flugloch zu schaffen, aber nicht aus den Boxen, wo er erfasst werden kann. Im Feld verteilt sind mehrere Laken, Teppiche etc. zwischen den Pflanzen verteilt um zumindest Stichpunktartig erfassen zu können, ob Bienen die Rückkehr gar nicht ersts< chaffen und im feld versterben.
Flugdichte: Im Feld wird stichpunktartig überprüft, wie viele Bienen je m² sammeln um die Exposition bewerten zu können.
Volksstärke: In der Regel alle 4-5 Tage werden die Völker nach der Liebefeld-Methode geschätzt und ermittelt, wie viele Bienen, Eier, Larven, Puppen, Pollen- und Futterzellen im Volk sind. Ist gelber (Raps) bzw. lila (Phacelia) Pollen vorhanden?
Brutentwicklung: Neben der Erfassung der gesamten Volksentwicklung (s. o.) werden in Studien nach OECD75 auch einzelne Eier in ihrer Entwicklung verfolgt. 1-2 Tage vor Applikation werden Waben mit Eiern fotografiert und digital rund 500 Eier pro Volk merkiert. Alle 4-5 Tage werden die Waben wieder fotografiert und digital ausgwertet. Programme können hier die Zellen klar zuordnen und so Aussagen darüber treffen ob das Ei sich normal entwickelt oder nicht. Am Ende steht dann eine Angabe, wie viel % der Eier sich zu adulten Bienen entwickeln konnten.
Rückstände: Es werden die verschiedensten Matrices genommen und im Labor auf Rückstände untersucht. In der Regel ist das Nektar aus den Honigmägen, eingelagerter Honig im Volk, Pollen aus Pollenhöschen, eingelagerter Pollen Volk, Bienenlarven, vollständige Bienen, Wachs. Oft auch Pollen und Nektar direkt aus den Pflanzen, Larvensaft, Ammenbienen und weiteres.
Verhalten: Bei allen Beobachtungen, vor allem bei den Erfassungen von Mortalität und Flug wird das Verhalten der Bienen beurteilt. Ist es normal, oder gibt es Auffälligkeiten? Kann sie nicht auf der Blüte landen? Purzelt sie wieder runter? Bewegt sie sich merkwürdig? Gibt es Bienen verkrüppelten Flügeln etc.
Die Dauer dieser Studien ist auch abhängig vom Mittel, das getestet wird. Die Minimaldauer liegt bei 28 Tagen und soll einen kompletten Brutzyklus nach Applikation abdecken. Dies ist vor allem bei sehr kurzlebigen Substanzen der Fall und wird generell immer weniger, da der Fokus stark in Richtung Überwinterung geht. In der Regel wird bei heutigen Studien die Brutabbruchrate für 1-2 Zyklen überwacht. Die Völker sind 7 (im Tunnel, da großer Stress) oder 14 Tage an den Feldern exponiert, bevor sie abgewandert werden. Bei besonders persistenten oder systemischen Substanzen kann auch die komplette Blühphase abgebildet werden. Am neuen Standort (meist in der nähe des betreuenden Imkers) werden die Völker in größeren Abständen weiter durchgeschätzt (oft monatlich) bis Ende Oktober, abschließend gibt es eine Auswinterungsschätzung um zu schauen, wie die Völker den Winter überstanden haben. In Ausnahmefällen kann die Studie noch verlängert werden.
Wichtig ist dabei der stete Vergleich mit der unbelasteten Kontrolle. Oft sind die Unterschiede inerhalb der Gruppen genauso groß oder größer als zwischen zwei Gruppen. Wie variabel Völker sich entwickeln können brauche ich hier vermutlich keinem erzählen. Daher werden die Völker vor Zuteilung zud en Gruppen durchgeschätzt und bewertet um möglichst gleichmäßige Gruppen zu erreichen.
Das oben beschriebene waren jetzt auch nur die Studien "von der Stange". Daneben gibt es noch weitere Studien die über keine Guideline verfügen sondern bei Bedarf gemacht werden. Das können z. B. Studien zu Guttation bei systemischen Mitteln und/oder Staubdrift-Studien bei Saatgutbeizen sein.
Das Ganze ist schon sehr umfangreich. Natürlich hat dieses System auch Schwachpunkte, keine Frage. Die Bewertung der direkten Mortalität ist schwierig, 50 m² Laken in einer Fläche von 2 Hektar sind eben nicht viel. Nicht alle Tankmischungen können so überprüft werden, gibt es hier Synergien? Usw usw.