Jetzt, wo sich dieser Strang einigermaßen beruhigt hat, möchte ich nochmal auf eine Metaebene zur Art der Diskussion kommen, über die ich heute wieder mal nachdenken musste; ein Thema, das mich seit einiger Zeit beschäftigt.
Wenn ich mir gesellschaftliche Diskurse der letzten Jahre vor Augen führe, stelle ich fest, dass eine Tendenz, die anderswo schon früher beobachtbar war, verstärkt auch bei uns Einzug hält: Das Trumpsche Amerika, das mit "Alternativen Fakten" glänzte, oder die kolossalen Lügen, mit denen der Brexit vorangetrieben wurde, mutete als eine seltsame Form der Realitätsverweigerung an, als eine Wirklichkeit, in der ihre eigenen Grundfesten zur Verhandlungsmasse zu werden schienen. Klar gibt es schon seit jeher Propaganda und Volksverblödung, aber mir schien hier eine neue Stufe erreicht, in der die Wirklichkeiten verschiedener Menschen unvereinbar auseinanderklafften und, vielleicht noch wichtiger, eine totale Verunsicherung darüber zu existieren begann, wie und ob diese verschiedenen Realitäten in Einklang zu bringen oder überhaupt kommunizierbar bleiben könnten.
In der Zeit von Corona hatte ich dann irgendwann das Gefühl, jetzt hat es uns uch erwischt. Zum einen hatte ich ellenlange Diskussionen mit Leuten, deren Weltbild um das Thema Corona dermaßen von dem absichtlich, was ich darüber in Erfahrung brachte und dachte, so dass letztendlich irgendwann knallharte Glaubenssätze und Grundüberzeugungen konträr zueinander standen und eine Verständigung daran scheiterte, zum anderen erlebte ich immer öfter Leute, die von der Gegensätzlichkeit und Vielfalt der Meinungen dermaßen desorientiert waren, dass sie ernsthaft sagten, es sei ja letztlich ununterscheidbar, welche Seite Recht habe. Allzu oft waren es dann eben einzelne "Experten", die einer ganz überwiegenden Mehrheitsmeinug gegenüber standen, die dann als Kronzeugen aufgerufen wurden und auch medial überproportional zur Geltung kamen.
Ich bin weit entfernt davon, reiner Positivist zu sein, mir ist insbesondere ein konstruktivistischer Ansatz des Weltverständnisses bekannt und bewusst (also das Anerkennen der Tatsache, dass wir alle die Welt letztlich nur durch unsere eigene Brille wahrnehmen und es somit immer auch nur konstruierte Realitäten gibt), und ich glaube auch an das Falsifikationsprinzip in der Wissenschaft. Aber ich weigere mich, in eine Art der postmodernen Beliebigkeit abzudriften, in der durch die reine Vielstimmigkeit (und nicht zuletzt durch das Getöse von bewusst eingesetztem Sperrfeuer) suggeriert wird, es gebe keine Möglichkeit, sich objektiv der Welt da draußen zu nähern, oder es gebe gar diese Realität an sich nicht.
Ich fand das schon im Coronakontext äußerst bedenklich. Zumal es tatsächlich Anzeichen dafür gibt, dass so ein absichtliches Zerschreddern von Wahrheit und Wirklichkeit zum Teil reales politisches Programm ist (in Russland gab es beispielsweise den Chefideologen Vladislav Surkov, der das aktiv und bewusst betrieben hat).
Versteht mich nicht falsch, ich bin absolut für offene Debatte, für Vielschichtigkeit von Meinungen, für an der Sache interessiertem Austausch. Ich hoffe auch, dass hier einige Leute einiges mitnehmen konnten, dass auch mit Mythen und Halbwahrheiten aufgeräumt werden konnte. Was mich aber doch bedrückt, ist die zwischendrin immer wieder durchschimmernde Haltung, es sei dermaßen fraglich, was richtig und was falsch ist, dass es kaum möglich sei, sich für Positionen zu entscheiden und auszusprechen.
Für mich ist die Sache relativ eindeutig; die Klimaerwärmung ist Realität, und zwar in einem Ausmaß und mit Konsequenzen, die größer sein werden als wir uns derzeit vorstellen mögen, und die oben beschriebenen Diskursphänomene sind vielleicht ein Ausdruck davon, wie schwierig es ist, diese Realität als solche anzuerkennen, andererseits aber eben auch brandgefährlich, da wir uns die daraus erfolgenden Ablenkungen und Verwirrungen schlicht nicht leisten können, da wir uns in einem Zeitraum befinden, in dem es wirklich ernst wird und entscheidende Weichen gestellt werden müssen.