In der Natur überleben die am besten angepassten Individuen.
Bei der Co-Evolution mit Parasiten sind Wirt und Parasit besser angepasst, wenn beide überleben, als wenn beide sterben. (Letzteres kann sich nicht entwickeln, weil auf dem Weg dahin, die dazugehörigen Gene aussterben.) Bei der Beziehung zwischen unserer heimischen Honigbiene Apis mellifera und der Varroamilbe hat sich nichts entwickeln können, weil sie mit einem Knall durch Einschleppung herbeigeführt wurde.
Alle biologischen Arten verfügen jeweils über einen mehr oder weniger umfangreichen gemeinsamen Genpool. Vererbbare Merkmale sind oft nicht besonders relevant für den Fortpflanzungserfolg und können deshalb im Genpool breit gestreut sein. Große und kleine, dicke und dünne, helle und dunkle Individuen können im Genpool vertreten sein, solange das fürs Gedeihen nicht besonders hinderlich ist. Ändern sich die Umweltbedingungen, dann können auch die Überlebensparameter andere werden. Angenommen, im Biotop taucht ein Räuber vom Typ schneller Jäger auf, dann sind auf einmal die kleinen, dicken Individuen unserer Beispielart besonders gefährdet. Es findet eine Selektion statt.
Für die Honigbiene Apis mellifera gibt es mit dem Einschleppen des Parasiten Varroa destructor eine radikale Veränderung. In einer natürlichen Umgebung wäre jetzt das Überleben (Tolerieren) des (zunächst überwiegend tödlichen) Parasiten das Hauptselektionskriterium bei den Bienen. Aber auch für den heimatfernen Parasiten ist es blöd. Aufgrund der bei unserer heimischen Honigbiene gegenüber dem Ursprungswirt Apis cerana (asiatische Honigbiene) sehr viel höheren Reproduktionsrate führt die mitgebrachte Genausstattung die Milben (und die Mellifera-Bienen) direkt in den Exitus. Bei den Milben hätten unter natürlichen Bedingungen, weniger tödliche Linien einen Vorteil (die anderen gehen mit den Wirtsvölkern unter). Vereinzelte Genkombinationen , die ein Überleben ermöglichen, wären in der Natur die einzig mögliche Weiterentwicklung. Alle Indizien deuten darauf hin, dass so eine Weiterentwicklung stattfinden würde, wenn mensch das freie Spiel der Kräfte zulassen würde.
In der Realität kommen aber die Imker dazu. Dadurch wird das Spiel ein anderes.
Die heimische Honigbiene ist im Prinzip ein wildes Tier und hat bis zur Ankunft der Varroa sowohl in Imkerkästen als auch in Baum- und Mauerhöhlen gelebt. Vor allem die intensive Waldwirtschaft und das Verschwinden der heimischen Urwälder haben aber dazu geführt, dass der weitaus größte Teil der heimischen Honigbienenvölker bereits vor Ankunft der Milbe in Imkerhand war.
Das sah vor 2000 Jahren noch ganz anders aus:
Damals wurde Germanien beschrieben als ein Land, „bedeckt von schrecklichen Wäldern oder abscheulichen Sümpfen.“ (Wikipedia). Menschen haben auch schon damals Honig bei den wilden Völkern geklaut, aber sie stellten noch keine künstlichen Behausungen zur Verfügung. Die Völker wohnten im hohlen Baum, und davon gab es reichlich.
Der hohle Baum ist schon lange ein Auslaufmodell. Die Bienen zogen nach und nach in Klotzbeuten und Imkerkörbe um.
Nichtsdestotrotz handelt es sich bei Apis mellifera immer noch um ein echtes Wildtier. An ihr wurde zwar ein wenig rumgezüchtet, der Genpool als Ganzes wurde aber nie bearbeitet, weil es ja immer noch Völker in den Wäldern gab. Außerdem waren die Imker zuchttechnisch schon immer breit aufgestellt, d.h. eine Vielzahl von ihnen hat nicht züchterisch eingegriffen.
Ironischerweise hat sich das erst mit dem Auftauchen der Varroa gründlich geändert. VOR der Varroa sind genetisch weniger vitale Völker unauffällig in der Versenkung verschwunden und zwar ganz unabhängig von züchterischen Bemühungen. NACH der Varroa wird flächendeckend behandelt. Das hat Folgen.
Der Genpool der Bienen und der Varroen findet jetzt eine Situation vor, in der regelmäßig 90-99% der Varroen getötet werden. Ein Selektionsdruck auf den Genpool der Bienen kann so nicht aufkommen. Für die ganz überwiegende Zahl der Völker ist es überlebensmäßig unerheblich, welche milbenrelevanten Merkmale im Genpool vorhanden sind, da die Milben eh dezimiert werden. Krasser Scheiß auf der anderen Seite. Im Milben-Genpool, würden unter natürlichen Bedingungen die Gene der weniger reproduktionsfreudigen oder sonstwie bienenverträglicheren Linien bevorzugt werden. Die Dauermedikation gibt nun die entgegengesetzte Richtung vor: Wer sich nicht rasant vermehrt, lebt verkehrt (stirbt). Stabilisierende Eigenschaften, die bei den Milben die letale Wirkung auf den Wirt begrenzen, sind, falls im Genpool der Milben enthalten, unter diesen Umständen eher nachteilig.
Die Medikamente wirken deshalb wie ein züchterischer Eingriff. Allerdings in Richtung aggressiverer Milben und selektionsdruckbefreiter Bienenvölker.
Und die wenigen verbliebenen wilden Schwestervölker in Baumhöhlen und Mauerritzen? Kann nur vermuten. Hier war der Genpool der miteinander verbundenen Völker (Populationen) im Vergleich zum Genpool der im Umfeld lebenden Imkervölker vermutlich zu klein, um ein neues Parasit-Wirt-Gleichgewicht zu etablieren. Die wenigen vereinzelten wilden Völker sind einfach untergegangen. (Mit Ausnahme von ein paar kleinen Populationen in Belgien, Frankreich und anderen Ländern (https://www.imkerforum.de/).
Durch den Drohnenflug sind Bienenvölker genetisch bestens vernetzt und es bedarf einer größeren Anzahl von Völkern, die zudem relativ isoliert zu den umliegenden Populationen stehen, damit es einen Selektionsdruck in Richtung Überleben geben kann.
Das Traurige ist, dass das Wirken der Imkerschaft mit der flächendeckenden (und zunehmend intensiven?) Behandelei das Überleben der Biene als wildlebender Art in Mitteleuropa gefährdet.