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Der Artikel über Hummeln und Pestizide hat es als einer von vier Artikel auf die Titelseite geschafft. (Heute in der Post.) In der dazugehörigen Studie werden unter anderem die Wirkungen von Imidacloprid auf Hummeln hin untersucht, sowohl auf einzelne Hummeln als auch auf Ebene des Volkes.
Den zur eigentlichen Studie gehörenden einleitenden Artikel habe ich grob ins Deutsche übersetzt. Er ist - wie ich finde - sehr aufschlußreich.
Hummeln und Pestizide
NATURE, 1. November 2012 Vol. 491, No. 7422, Seite 43 ff.
Eine Studie, welche die Auswirkungen von zwei Pestiziden auf Hummeln betrachtet, unterstreicht die Notwendigkeit die Berücksichtigung mehrerer Arten bei Risikobewertungen und die komplexe Kette von Faktoren, welche die Exposition der Insekten gegenüber Chemikalien bestimmt.
Juliet L. Osborne
Die Wissenschaft um Bienen und Bestäubung blüht auf. Forschungsanstrengungen auf der ganzen Welt versuchen die Bienenvolk-Verluste zu erklären, die sowohl wilde und landwirtschaftliche Pflanzenarten-Systeme bedrohen - wegen der entscheidenden Rolle der Bienen bei der Bestäubung. Die Auswirkungen von Pestiziden auf Bienen ist ein Faktor, der die Aufmerksamkeit von Wissenschaftlern und der Öffentlichkeit gleichermaßen gefangen hat: mehr als 100 Papers und Berichte zu diesem Thema sind in diesem Jahr bisher veröffentlicht worden, einschließlich Studien, wissenschaftliche Bewertungen und Berichte über Risikobewertungsverfahren bei der Zulassung. Auf Seite 105 dieser Ausgabe, arbeiten Gill et al. im Herzen dieser Debatte und liefern gründliche Datensätze, welche die Reaktionen von Hummeln auf zwei Pestizide untersuchen.
Gill und seine Kollegen untersuchten die Effekte von zwei Insektiziden (Imidacloprid und delta-Cyhalothrin) auf die Entwicklung und das Wachstum von Hummelkolonien, und auf die Aktivität einzelner Bienen bei der Nahrungssuche, indem sie diese mit Microships versahen. Die Forscher platzierten in der Einflugschneise Futterschalen mit Zuckersirup, die mit Imidacloprid und/oder Filterpapier mit delta-Cyhalothrin behandelt wurden, auf dem Weg, auf dem die Hummeln ihre Nistkästen verlassen. Bezeichnenderweise wurden die Bienen nicht auf den Besuch des behandelten Materials beschränkt - sie könnten das Filterpapier und die Zuführung ignorieren und umgehen, und sie waren in der Lage, Futter in Form von Pollen und Nektar in der umliegenden Landschaft zu sammeln.
Die Autoren berichten, dass weniger erwachsenen Bienen aus Puppen in den Kolonien entstanden, die Imidacloprid ausgesetzt waren, was mit einer früheren Studie, die verminderte Produktion von Bienenköniginnen in Imidacloprid behandelten Kolonien gefunden einhergeht. Gill und seine Kollegen haben auch festgestellt, dass Bienen aus solchen Kolonien eine erhöhte Sammelaktivität zeigten, und dass ein höherer Anteil der Sammlerinnen nicht zur Kolonie zurückkehrte.
Abbildung 1: Eine „komplexe Expositionslandschaft“. In einer typischen landwirtschaftlichen Umgebung können verschiedene Kulturen mit verschiedenen Pestiziden zu verschiedenen Zeiten und Dosierungen ausgebracht werden. Bienen sammeln ihre Nahrung sowohl aus diesen Kulturen aber auch von Wildpflanzen, was es erschwert, ihre gesamte Exposition gegenüber Chemikalien abzuschätzen. Darüber hinaus können die wieder in das Volk zurückkehrenden Bienen nach der Nahrungssuche die Pestizide an die Larven verfüttern. In einem Versuch, diese komplexe Exposition teilweise zu imitieren, platzierten Gill et al. Pestizid-beladene Fütterer und Filterpapier (nicht dargestellt) am Eingang zu den in Boxen gehaltenen Hummelvölkern, die auch Zugriff auf Blüten von Kultur-und Wildpflanzen in der weiteren Landschaft hatten. Die Forscher maßen die Wirkung dieser zusätzlichen Pestiziden sowohl auf individueller Bienen- als auch auf Ebene des Volkes.
Bei Völkern, die delta-Cyhalothrin ausgesetzt waren, beobachteten sie eine höhere Sterblichkeit der Bienen im Nest. Schließlich berichten sie, dass Völker, die beiden Pestiziden ausgesetzt waren, vorhersagbar additive Effekte aus den einzelnen Behandlungsergebnisse zeigten.
Dieses Paper ist aus drei Gründen sehr wichtig. Erstens: Während die meisten Studien auf Honigbienen und Pestizide hin untersuchten, und die meisten Risikobewertungsmodelle auf Honigbienen konzentrieren, studierten Gill et al. Hummeln, die eine andere Biologie und Ökologie haben und anfälliger für Pestizide sein können. Honigbienen sind kleiner als Hummeln, so dass einzelne Insekten anfälliger für akute Wirkungen von Chemikalien sind, aber ihre Kolonien umfassen Zehntausende von Arbeitern und Effekte auf Ebene des Volkes können durch diese schiere Größe gepuffert werden. Im Gegensatz dazu hat ein Hummelvolk nur ein paar Dutzend Arbeiter, so ist es wahrscheinlich weniger elastisch, um den Verlust von Individuen zu verkraften. Wegen der geringen Größe der Völker ist es auch schwierig, das Überleben der wilden Hummelkolonien zu überwachen. Die Europäischen Regulierungsbehörden überlegen dringend, wie Daten von Hummeln in Pestizid-Risikobewertungen übernommen werden können, und die Erkenntnisse von Gill und seinen Kollegen liefern nützlichen Input zu dieser Diskussion.
Und zweitens haben die Autoren die Auswirkungen von Pestiziden sowohl auf einzelne Bienen und als auf auf Ebene des ganzen Volkes gemessen. Diese doppelte Auswertung ergibt sich aus dem Konzept, dass, wenn eine Biene eine akute letale Dosis auf dem Feld aufnimmt, es nicht in das Volk zurück schafft, aber wenn sie eine subletale Dosis aufnimmt, könnte sie die Stoffe mit zurück in das Volk verbringen, um die Brut damit zu füttern und möglicherweise darüber Einfluss auf die Entwicklung und das Überleben der Nestbewohner zu nehmen (ein Effekt, der größere Auswirkungen in kleinen Völkern hätte). Gill und Kollegen ist in dieser Studie ein hilfreicher Schritt gelungen - in Richtung der Berücksichtigung dieser komplexen Kombination von subletalen Dosierungen, akuter und chronischer Sterblichkeit, und Auswirkungen auf das Gesamtvolk, aber diese Prozesse benötigen weitere Aufmerksamkeit.
Die Untersuchung der Auswirkungen einer Kombination von Chemikalien ist die dritte Stärke dieser Studie, insbesondere weil aktuelle Anforderungen bei der Zulassung genau diese Tatsache nicht berücksichtigen, dass Insekten mehreren Produkte ausgesetzt werden. Gill et al. wählte chemische Dosierungen, die ungefähre denjenigen entsprechen, die eine Biene in einem Gebiet ausgesetzt sein könnte, obwohl es fast sicher eine Debatte über ob diese gewählten Dosierungen (und Methoden der Exposition) geben wird und wie realistisch sie seien. Die gewählten Konzentrationen entsprechen den Angaben der Leitlinien für die Anwendung, aber diese entsprechen nicht unbedingt dem, was die Landwirte letztendlich tatsächlich bei der guten fachlichen oder auch gängigen Praxis verwenden.
Und hierin liegt der Haken. Es gibt einfach nicht genügend Felddaten weder von der variablen räumlichen und zeitlichen Verteilung von Pestiziden auf oder in pflanzlichem Material, noch hinsichtlich der Trachtmöglichkeiten der Bienen, um sinnvolle Vergleiche zwischen Felddaten und experimenteller Exposition zu machen. Wahrscheinlich widerfährt den Insekten in dieser Pestizid-Expositionslandschaft“ ein ganzer Komplex von mehreren Chemikalien von verschiedenen Herstellern, an einem oder mehreren Orten in unterschiedlichen Dosen und unterschiedlichen Zeiten von mehreren Landwirten ausgebracht.
Unabhängig davon, ob die von Gill und seine Kollegen verwendeten Dosierungen den Felddosierungen entsprechen, sollte ihre Studie die weitere Erforschung der „Expositionslandschaft“ und ihre Wirkung auf Bienen und andere Nicht-Zielorganismen stimulieren.
Die britische Regierung und andere Regulierungsbehörden auf der ganzen Welt erwägen derzeit eine Aktualisierung der Richtlinien für die Registrierung und Zulassung von Pestiziden. Inwieweit haben einzelne Studien wie diese Einfluss auf diese Entscheidungen? Obwohl das von Gill und Kollegen verwendete experimentelle Design nicht den normalen dreistufigen Ansatz zur Risikobewertung entspricht (welcher Laborversuche, halb-und Feld-Experimente verlangen), legt die Studie Bereiche offen, in denen die aktuelle Risikobewertung keine ausreichenden Beweise liefert. In der Tat, entsprechen die Empfehlungen der Autoren - die Notwendigkeit für die Bewertung von Auswirkungen auf die Hummeln, auf individueller und auf Ebene des Volkes und der Auswirkungen von Kombinationen von Chemikalien – den jüngsten Empfehlungen der europäischen Agenturen. Allerdings sorgt die Notwendigkeit der Standardisierung und der Reproduzierbarkeit der Protokolle unweigerlich für eine langsame Umsetzung dieser Empfehlungen.
So bleibt die Frage: soll die Politik Entscheidungen auf Grundlage von gegenwärtigen Beweise treffen, oder sollen sie auf weitere Beweise warten?
Darüber hinaus wird diese Debatte durch die Auswirkungen von mehreren anderen Faktoren auf Bienen kompliziert. Zum Beispiel haben wir noch keine überzeugende Demonstration der relativen Auswirkungen von Pestiziden auf die Bienenvölker im Vergleich zu den Auswirkungen von Parasiten, Krankheitserregern und Trachtquellen. Es ist experimentell nicht möglich, alle erdenklichen Kombinationen von Faktoren in allen Landschaften zu studieren, aber eine Modellierung der Volksentwicklung, der Trachtmuster und äußeren Einflüssen ist eine praktische und zeitsparende Möglichkeit, in diesem Punkt Fortschritte zu machen. Solche Modelle sollten mit robusten Daten-Sets aufgebaut sein und besitzen genügend Detaillierung, um als realistisch angesehen zu werden. Der Anteil von Massentrachten blühender Pflanzen wie Raps und Sonnenblumen, muss auch klarer ausgewertet werden. Diese Kulturen können sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf Bienen haben: Sie können das Wachstum von Bienenvölkern und die Artenvielfalt anderer Bestäubungsinsekten in einer ansonsten blütenarmen Umgebungen verbessern, aber sie sind in der Regel mit Pestiziden behandelt. So bleibt der Nettoeffekt auf Populationen von Bestäubern inmitten tausender von Hektar dieser Kulturen noch festzustellen.
Und schließlich muss die Balance zwischen dem Schutz von Kulturpflanzen vor Schäden durch Schädlinge und zum Schutz Bestäuber weitere Beachtung finden. Welche alternativen Schädlingsmanagement-Strategien würden die Landwirte anwenden, wenn zum Beispiel eine bestimmte Klasse von Agrochemikalien von ihrer Liste der Möglichkeiten entfernt wurde? Die Debatte über die Verwendung von Pestiziden würde durch einen soliden Rahmen, in dem die relevanten sozioökonomischen und ökologischen Kompromisse stellen, erweitert werden.
Zusammenfassend bedeutet diese einzelne Studie keine vollständige Erklärung für Rückgänge der Bienen, noch gibt sie eine endgültige Antwort auf die Frage, wie Vorschriften zur Zulassung von Pestiziden zu ändern sind. Aber die überzeugenden und detaillierten Daten unterstreichen die Sachgerechtigkeit der Einbeziehung von Hummeln in die Risikobewertungen von Agrochemikalien und, weiter gefasst, die Notwendigkeit für ein besseres Verständnis von Pestizid-Expositionslandschaften.
Hier der übersetzte Text als Download (PDF) zum Ausdrucken: http://www.immenfreunde.de/docs/NaturePestizidArtikel.pdf
Gruß
Bernhard