Hallo miteinander!
Ich habe in einem anderem Posting hier im Imkerforum schon über das Buch "Verhaltensbiologie" geschrieben.
Das Buch "Verhaltensbiologie" gibt es hier bei => Amazon
Verlag: Springer, Berlin; Auflage: 1 (September 2005)
Sprache: Deutsch ISBN-10: 354024056X ISBN-13: 978-3540240563
Hier das Posting: http://imkerforum.de/viewtopic.php?t=5547
Dieses Buch bildet eine gute Grundlage für weiterführende Gedankengänge.
In der Verhaltensbiologie gibt es 4 evolutionäre Problemstellungen (S. 64) . Also Probleme, die ein Lebewesen lösen muß, um überhaupt an der Evolution teilnehmen zu können. Das sind:
1.) Nahrungssuche und Energiebilanz
2.) Räubervermeidung (dazu gehören auch Parasiten und das Immunsystem)
3.) Fortpflanzung
4.) Jungenaufzucht, bzw. Brutpflege
Über die Räubervermeidung und die Auswirkungen der modernen Bienenzucht-Methoden auf das Immunsystem siehe = hier.
Hier soll es um den ersten Punkt gehen: der Nahrungssuche und der Energiebilanz. Die Nahrungssuche der Bienen wird als "central-place-forage" bezeichnet (S. 159ff). Das bedeutet, daß die Bienen ihre Nahrung aus einem freiem Raum zu einem zentralen Punkt bringen.
Das hört sich im ersten Moment simpel an. Doch auf S. 159 folgt ein Hinweis: scramble competition. Dort geht es um Nahrungskonkurrenz bei sogenannten "foragers" (Sammlern), zu denen die Bienen gehören. Der "Sammler-Wettbewerb" (scramble competition) findet innerhalb einer Art statt, also von Bienenvolk zu Bienenvolk. Die Konkurrenz hat einen Faktor - die zeitliche und räumliche Verteilung! Wenn die Nahrungsquelle (im Falle der Bienen die Blüte) bereits besucht und beerntet wurde muß eine bestimmte Zeit abgewartet werden, bevor sie wieder besucht werden kann. Das gipfelt dann in der "Ideal freien Verteilung". Die Ideal-freie-Verteilung (S. 162) besagt, daß ein gutes Habitat mit vielen Nutzern genauso wertig ist wie ein schlechtes Habitat mit wenigen Nutzern. Siehe Grafik.
[Blockierte Grafik: http://home.arcor.de/bernhard_downunder/bienen/idealfreieverteilung.png]
Die Grafik verdeutlicht es: ein Volk in einem schlechten Habitat erzielt genauso eine Effizienz wie vier Völker in einem guten Habitat. Was passiert bei 10 Völkern? Bei 20 Völkern? Was bei 30 Völkern?
Die Aufnahme von Nahrung ist also im starken Maße vom Lebensraum der Biene abhängig - und eben der Völkerdichte. Die Frage ist: wie sieht es heute um den Lebensraum der Biene bestellt aus? Würden wir den Lebensraum als gutes oder schlechtes Habitat bewerten? Muß man die chemische und landwirtschaftliche Belastung nicht unter dem Strich als Verschlechterung des Lebensraumes erachten?
Der Bien sammelt seine Nahrung in einem Radius um seinem Bienenstock herum - und als Sammler unterliegt er innerartlich einer Konkurrenz mit anderen Bienenvölkern. Mir stellt sich da die Frage: wie wirkt sich die geballte Aufstellung der modernen Betriebsweise auf die Bienen aus? Kommt es unweigerlich zu einem verstärkten Konkurrenzdruck? Bei gleichzeitiger Verschlechterung des Lebensraumes?
Wenden wir uns dem Energiehaushalt zu.
Zitat von S.86Effiziente Einteilung von Energie scheint bei manchen Tieren deshalb entstanden zu sein, weil die Überlebenserwartung davon beeinflußt wird.
Im weiteren Absatz wird die Speicherung von Energie behandelt und das die Speicherung der Energie sowohl innerhalb als auch außerhalb des Organismus stattfindet. Als Beispiel sei hier das Anlegen von Fettschichten für den Winter bei manchen Säugern genannt (interne Speicherung). Oder eben die Honigvorratshaltung als Beispiel für externe Speicherung.
Wenn also die Überlebenserwartung von der Einteilung der Energie abhängig ist, dann hängt die Evolution der Biene direkt an der Versorgung mit Energie. Und damit das Überleben der Biene als Art.
Doch wie beeinflußt unsere moderne Imkerei den Energiehaushalt?
Die Eingriffe des Imkers sind meist zur Erweiterung, Schwarmverhinderung und Ernte, sowie neuerdings zur Behandlung des Bienenvolkes.
Das Öffnen des Deckels einer Beute bedeutet IMMER eine Abkühlung des Bienenstockes. Was bewirkt das? Die Bienen müssen die Luft im Inneren wieder auf die für die Brutpflege notwendige Temperatur bringen. Das bedeutet: 33-36°C (Lexikon der Bienenkunde S. 334 ISBN 3-85492-616-2).
Weiter steht dort:
Zitat(...)Zur Erhöhung der Temperatur um 1°C muß das Bienenvolk mit einer verdeckelten Brutwabe (1000 Zellen) 6 Joule/hg aufwenden und damit 33% mehr Energie freisetzen, als wenn keine Brut vorhanden wäre.(...)
Die Erhöhung der Temperatur darf also in jedem Falle als eine erhöhte Anstrengung angesehen werden. Orientiert man sich an der Angabe oben als ungefähren Richtwert, dann verursacht jede Öffnung des Deckels eines Bienenvolkes eine um 33% erhöhte Anstrengung. Ein Minus auf dem Energiehaushaltskonto.
Weiter zur innerartlichen Nahrungskonkurrenz. Die Aufstellung der Bienen an einem Standort gibt ein weiteres Minus auf dem Bilanzkonto. Die Ernte von durchschnittlich 23 kg Honig [quelle = hier ] durch den Imker erhöht die Anstrengung der Bienen um ein Vielfaches. Wieviel Honig wohl ein Wildvolk einträgt? So um 5-12kg? Bedeutet der doppelte Eintrag von Honig auch doppeltes Minus auf dem Energiehaushalt-Bilanzkonto?
Zitat von S.79(...)Infektionen [hier: Parasiten, Anmerkung Bernhard Heuvel] führen zu einer Erhöhung der physiologischen und energetischen KOSTEN, die der betroffene Organismus zu deren Eindämmung oder Beseitigung aufwenden muß.(...)
Der Befall mit Varroa erhöht die Kosten, ein weiteres Minus auf dem Energiehaushalt-Bilanzkonto.
Manne vermutete, daß die Einzelaufstellung zu Beginn seines unfreiwilligen Neu-Anfangs einen Einfluß auf die Herausbildung eines Zusammenlebens des Biens mit dem Milb haben könnte. Warum passt das so gut ins Bild des Energiehaushaltes? Wie gut passen seine spärlichen Eingriffe (soweit ich das richtig verstanden habe) ins Bild des Energiehaushaltes?
Die Kosten im Überblick:
1.) Innerartliche Nahrungskonkurrenz durch Aufstellung mehrere Kolonien an einem Standort, obwohl die Biene ein central-place-forager ist. Bei gleichzeitiger Verschlechterung des Habitats.
2.) Das häufige Öffnen der Beute durch den Imker, selbst bei niedrigen Außentemperaturen.
3.) Die durch verdoppelte Honigernte verdoppelte Anstrengung der Nahrungssuche
4.) Druck durch Parasitenbefall
Was sind die Konsequenzen für die wesensgemäße Imkerei, durch die Brille der Verhaltensbiologie betrachtet? Kommentare, Tomatenwürfe und weiterführende Gedanken erwünscht...
Bernhard